Mit offenen Augen und einem mutigen Herzen
18. November 2025
Auch in diesem Jahr soll der 18. November dem Gedenken der Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche dienen. Er soll dieses dunkle Thema in den Fokus rücken und uns, die Opfer. Der Schaden, der uns zugefügt wurde, ist unermesslich, so viele Jungen, Mädchen, Frauen und Männer haben tiefe Verwundungen davongetragen. Am 18. November also sollen Gebete heilen, was Menschen zerstört haben.
Ich bin eine Verwundete und ich sage euch: Wir brauchen nicht eure Gebete, keine Pflaster und Verbände, um zuzudecken, unsichtbar zu machen, was so klafft. Wir brauchen euren Mut hinzuschauen, mit offenen Augen und einem mutigen Herz. Versteckt euch nicht hinter Gott und betet dafür, dass er tun möge, wofür euch der Mut fehlt. Geht voran und seid die Schäfer, zu denen Gott euch berufen hat. Kein Schäfer würde ein Schaf anklagen, wenn der Wolf es anfällt, ihm die Schuld geben oder andere Wölfe fragen, ob das Schaf im Recht sei. Niemand würde von dem Schaf verlangen zu beschreiben, wie hoch das Gras war, während es in den offenen Rachen des Wolfes gestarrt hat.
Was ihr Aufarbeitung nennt, erleben wir als Hohn. Wir sollen uns beweisen als Opfer, sollen unsere Wunden aufreißen, uns bloßstellen vor euch. Wir sollen uns der Gefahr aussetzen, von einem weiteren Vertreter der Kirche zum Opfer gemacht zu werden. Die Unschuldsvermutung gilt für die Täter, nicht aber für uns? Wir sind verdächtig, wenn wir uns nicht erinnern, ob der Raum an einem der schlimmsten Tage unseres Lebens hell erleuchtet war oder nicht? Ob es Gardinen gab, oder wie der Teppich aussah? Wir sind verdächtig, wenn wir lange geschwiegen haben? Wir sind verdächtig, wenn wir „mittellos” sind? Wir sind verdächtig, wenn wir zweifeln angesichts der riesigen Drohkulisse, die Kirche seit Jahrhunderten für Menschen darstellt? Es wäre genauso leicht, uns zu glauben wie den Beschuldigten.
Es wird so viel Energie darauf verwendet, den Schaden in der Kirche klein zu halten, und so wenig, ihn wirklich zu beheben. Wir sind da, wir sind viele und wir verschwinden nicht, ob es euch plausibel scheint oder nicht. Sexuelle Gewalt ist nie plausibel, sie ist auch nie sachlich zu erklären und nie ist sie ein einzelner Fehltritt. Sexuelle Gewalt ist Methode, Berechnung, Macht, Planung, und sie wiederholt sich, immer. Ihr könnt sie nicht klein reden oder weg plausibilisieren. Wir haben Gewalt erlebt, wo wir Schutz erleben sollten, und es ist eure Pflicht und Verantwortung, euch diesem Schmerz zu stellen und Kirche wieder zu einem sicheren Ort zu machen.