Predigt - Berufung des Petrus

Dr. med. Cornelia Rödelsperger

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, eine Predigt zu schreiben, die Mut macht. Mut, sich ansprechen und in Dienst nehmen zu lassen von diesem G`tt. Mut zum Aufbruch ins Ungewisse, geführt von G`ttes Hand. Ohne Erfolgsgarantie und ohne allgemein gültige Antworten. Mut, auf Menschen zuzugehen, die auf diesem Weg begegnen. Sich einzulassen auf Lebensschicksale und Lebenswege und mit auszuhalten …

Mut zum Festhalten an der irren Hoffnung, dass dieser Weg am Ende ein guter sein wird – gegen alle Enttäuschungen und das Verzweifeln an mir selbst und an anderen.

Nun, das alles hätte ich heute gern aus diesem Evangelium herausgelesen und ich tue das auch noch immer.

Aber meine Gedanken gingen immer wieder andere Wege. Den Grund können Sie sich sicher vorstellen:

Dabei besteht das Erschütternde und Frustrierende gar nicht so sehr im Gutachten selbst. Das alles war längst nicht mehr neu und deshalb nicht überraschend. Neu waren die jetzt konkreten Zahlen. Und auch das kommt nicht unerwartet: Solche Zahlen konnten nur zustande kommen, weil Verantwortliche bewusst weggeschaut, geschwiegen und vertuscht haben.

Was wehtut und erneut erschüttert, ist der Umgang mit alldem. Wie bereits im Erzbistum Köln, jetzt wieder!

Warum können nicht auch andere, ähnlich wie Kardinal Marx vergangene Woche, zu ihrer Verantwortung stehen und offen sagen: Auch ich habe weggeschaut. Ich wollte Schaden abwenden. Stattdessen habe ich Täter geschützt und weitere Opfer nicht verhindert. Heute weiß ich es besser?!

Dann könnte ich die vorgebrachten Argumente vielleicht sogar gelten lassen, dass wir doch alle das Gefühl kennen, unvorstellbare Dinge besser nicht aussprechen zu wollen; dass wir alle schon einmal weggeschaut und geschwiegen haben, wenn Unrecht geschah – aus welcher Motivation heraus auch immer …

Aber so, wie ich das derzeit erlebe, sind all die hilflosen Versuche, zu erklären und zu entschuldigen, nur wieder ein neuer Schlag ins Gesicht all derer, die sich darum bemühen, an der Basis gute Arbeit zu machen, um Veränderungen ringen und die nach wie vor zum Evangelium und auch zu ihrer Kirche stehen. Und das tut weh!

Wagen wir einen Blick auf den Text:

Vielleicht ist es ihnen auch schon einmal aufgefallen: Bei Markus läuft die Berufung der ersten Jünger ganz anders:

Jesus sieht Simon und Andreas am See, geht auf sie zu und sagt: „Kommt her, folgt mir nach.“ Und sie gehen mit. So kann das gehen! Und vielleicht will Markus genau das sagen: Wer sich auf G`tt einlässt, muss mit so etwas rechnen. G`tt überfällt Menschen ganz unvermittelt und nimmt sie in Dienst. Und die Antwort kann sein: „Hier bin ich – sende mich!“ (Jes 6)

Bei Lukas braucht es da viel mehr Überzeugungskraft. Hier ist Petrus nicht so blauäugig. Denn er weiß offenbar um den großen Anspruch Jesu und die Schwierigkeit, dem gerecht zu werden. Er weiß um den langen Atem, den ein Menschenfischer G`ttes braucht und er kennt sich und sein Grenzen.

Und natürlich weiß Lukas, wie das mit Petrus weitergegangen ist: im Garten Getsemani, im Hof des Hohenpriesters und in der Apostelgeschichte …

Entsprechend fällt die Reaktion aus: „Geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch.“ Das heißt: So wie ich bin – brüchig und unzuverlässig – tauge ich nicht für deine Sache. Die Antwort: „Fürchte dich nicht!“ Zusammen mit mir und für mich wirst du Menschen fangen.

Und auch bei Lukas steckt ganz sicher eine besondere Absicht dahinter, das so zu erzählen:

Mir scheint, er will sagen – genau solche Menschen braucht es! Menschen, die angesichts ihrer Grenzen und des langen Atems, den der Alltag braucht, Bedenken und nachvollziehbare Vorbehalte mitbringen.

Denn: Das sind Menschen, die wissen, sie kommen nicht in eigener Sache und in eigenem Namen. Und sie haben nicht auf jede Frage eine fromme Antwort parat.

Es sind Menschen, die ihre Schwächen kennen und fähig sind, an sich zu zweifeln und gelegentlich zu verzweifeln. Nicht solche, die sich aufgrund ihres Auftrages für etwas ganz Besonderes halten!

Das sind demütige Menschen, die nicht meinen, allein aus eigener Kraft irgendetwas zu bewirken. Und die deshalb all ihre Hoffnung und ihr Vertrauen in G`tt setzen. Und die ihr Scheitern nicht beschönigen oder vertuschen müssen!

Je tiefer ich mich da hineindenke und -fühle, um so absurder scheint mir das, was unsere Kirche derzeit beschäftigt. Da kann etwas ganz Grundlegendes nicht stimmen. Jedenfalls nicht mit Berufung auf dieses Evangelium!

Die einfachste Definition von Sünde, die mir bislang untergekommen ist, ist diese: „Menschen haben Rechte – also gibt es Gut und Böse.“ Das ist doch eigentlich ganz simpel!

Braucht es da wirklich Gutachten um Gutachten, damit gerade so viel eingestanden wird, wie ganz offensichtlich nicht mehr zu leugnen ist?!

Kirchenrechtliche Spitzfindigkeiten darüber, wie Missbrauch zu definieren ist und was davon mehr oder weniger Schuld bedeutet, sind absurd und verbieten sich von selbst!

Da entschuldigt sich ein Kardinal nicht etwa für seine Fehler, sondern dafür, dass das Kirchenvolk unter der Kritik an seiner Person zu leiden hat (Kardinal Woelki, Weihnachten 2020). Ich leide nicht darunter, dass Kardinäle und auch der emeritierte Papst in der Kritik stehen. Ich leide darunter, was solch ein Amtsverständnis mit dieser Kirche macht, die immer noch auch meine Kirche ist!

Und wie passt alles das zu dem Maßstab, mit dem die Kirche ihre Gläubigen und andere misst?

Mit dem sie z. B. Menschen, deren Ehe gescheitert ist, noch immer unbarmherzig einen Neuanfang verwehrt?

Oder erinnern wir uns an Sätze wie diesen: „Wer also die Eucharistie isst, obwohl er nicht zu unserer katholischen Kirche gehört, der versündigt sich am Leib Christi“ (Kardinal Meisner zum Thema Ökumene und Eucharistie; Fastenhirtenbrief 2002).

Wird in einer solchen Kirche wirklich glaubhaft der G`tt verkündet, der sich am Sinai unmissverständlich auf die Seite der Opfer gestellt hat? Der Gekreuzigte, der mit den Leidenden leidet?

Ich hoffe und ich bete darum, dass diese Krise die Kirche reinigt und zur Wahrhaftigkeit befreit. Befreit vom ewigen Kampf um den heiligen Schein und die makellose Soutane!

Ich träume von einer Kirche, die Menschen von Ängsten und falschen Zwängen befreit und heil werden lässt, an Leib und Seele.

Einer Kirche, in der man auch den Verantwortlichen glaubhaft anmerkt, es geht ihnen nicht um sich selbst und sie haben keine fertigen Antworten, die sie den Menschen überstülpen. Sie kommen mit leeren Händen, einem unverstellten Blick, einem fragenden Herzen und der Bereitschaft, mit den Menschen G`ttes Wege zu suchen und zu gehen.

Sie kommen im Namen G`ttes, der sie selbst angerührt und frei gemacht hat, ganz tief im Innersten.

Und ich bin (noch) nicht bereit, mir diesen Traum kaputtmachen zu lassen!

Es heißt, wenn viele gemeinsam träumen, kann ein Traum zum Beginn einer neuen Wirklichkeit werden. Tragen wir gemeinsam dazu bei!

Amen.

1. Lesung: Jes 6,1-2a, 3-8 Evangelium: Lk 5,1-11

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